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Zum Thema Scheininvalide: Verdrängen und Di-Simulation, ein Phänomen….
   

(Überarbeitet am 03.03.2013)


Ich sitze im Restaurant Klingenthal und schaue den Menschen zu. Es ist abends um 23:00 Uhr. Ich habe mich an den grossen Tisch gesetzt, denn hier ergeben sich allerlei Möglichkeiten interessantes zu lernen.

Es setzen sich weitere Personen an den Tisch, der eine freundlich, der andere grantig, ein Taxifahrer welcher Pause macht, ein älterer Herr welcher gerade aus dem Puff kommt, es ist ein kommen und gehen.

Da kommt Sepp. Ich nenne ihn hier Sepp, er heisst zwar anders, doch belassen wir es bei Sepp. Ich kenne Sepp, doch er kennt mich nicht mehr. Ob der Alkohol dafür gesorgt hat dass er mich nicht mehr kennt, oder seine Geschichte, wird ein Geheimnis bleiben. Sepp ist unterhaltsam, gerne mal im Mittelpunkt, und 43 Jahre alt. Braungebrannt, eben eine art Harry Hasler-Typ, kommt er gerade von Manila zurück. Er erzählt von den geilen Stuten in Manila, von seinem Aussteigerleben und davon dass er ein ganz schlauer sei, denn er würde einen auf IV-Rente machen.

Er bekommt Aufmerksamkeit und Gehör von den anderen, ist eben dort wo er gerne ist, eben im Mittelpunkt. Er stellt sich selber als schlauen Kavaliersdelinquent dar, welcher sich von dieser Ausnutzergesellschaft nichts mehr gefallen lässt, als eine Art Robin Hood für sich selber.  Jetzt habe er eine Invalidenrente, selber Schuld wenn die so blöd sind, jetzt mache er sich halt ein schönes Leben. Schliesslich sei er ja Kerngesund. Er bestellt ein weiteres Bier, spendiert einem Zuhörer noch eins, erzählt von den günstigen Preisen in Manila und wieder von den willfährigen Mädchen. Er denke darüber nach in Manila eine Bar aufzumachen.

Einige wenige am Tisch, deren zwei, gerade vom Cliquenkeller kommend, Pfeifen und Trommeln geübt, erzürnen sich hinter vorgehaltener Hand. Ein Scheininvalider, ein Abzocker, der Blocher hätte schon recht. Wir sind die Blöden, wir arbeiten wie die Idioten, und bezahlen solche Faulpelze noch. Beide sind mir wohl bekannt, genauso wie Sepp.

Als Sepp gegangen ist, ziehen sie über ihn her, wütend, schimpfend und einer bringt sogar Auschwitz ins Spiel. Sie lassen gehörig Dampf ab, und bestellen noch ein Bier. Einer der beiden will mich zu einem Bier einladen, ich lehne dankend ab, denn ich trinke keinen Alkohol,  nun ist er ganz beleidigt.

Der andere versucht mich verbal an die Wand zu drücken, möchte von mir unbedingt die Bestätigung bekommen, dass man solche Leute vergasen sollte. Ich bin erstaunt, beide sind Familienväter, Arbeiter, ein Lastwägeler und ein Bürogummi. Ich nenne sie hier der Einfachheit halber Max und Moritz.

Was die beiden nicht wissen, und ich ihnen nicht sagen kann und auch nicht sagen darf, ist die Tatsache dass Sepp ein Verdränger, ein Disimulierer ist. Ein Jahr vorher habe ich ihn kennen gelernt. Er ist der Vater einer verstorbenen drogenabhängigen Frau, welche von mir seit einigen Jahren sporadisch beratend begleitet wurde. Sepp hat eine Diskushernie und 2 Bypassoperationen hinter sich. Ist immer noch übergewichtig, seine Leberwerte sind schon lange im bedrohlichen Bereich, er braucht Blutverdünner, Blutdrucksenker, Antidepressiva und hat Wasser im Bauch. Ohne Tranquilizer, welche er schon seit 10 Jahren nehmen muss, kann er nicht mehr schlafen. Die Rückenoperation war nur zum Teil erfolgreich, sein rechtes Bein ist taub geblieben. Sein Restaurant musste er schliessen, er war Wirt von Beruf. Seine Frau ist ihm davongelaufen, seine Tochter ist nebst anderem auch nie mit dieser Scheidung fertig geworden. Sein Sohn hat den Kontakt zu ihm vor 10 Jahren abgebrochen, denn er war ein strenger Vater, welcher seine Kinder mit Dominanz, Zucht und Strenge erzog. Er war ein rechtschaffener Bürger, erzählte er mir, welcher immer rechts wählte, und wenn ein Ausländer, Fixer oder eine Schwuchtel in seiner Beiz Radau gemacht habe, hätte er diese rausgeekelt oder der Svp einen Hunderter geschickt, denn die würden sich noch um Menschen wie ihn, eben die Rechtschaffenen, kümmern.
Geweint hat er damals, wie ein kleines Kind, als seine Tochter an Hiv starb. Es war ihm zuwider das jemand ihn so sieht, das sei ihm seit seiner Kindheit nicht mehr passiert, er schämte sich sehr. Er erzählte mir wie es um ihn steht, und das er nun von Invalidenrente leben müsste. Ich sah den Medikamentenstappel in seiner Küche. Alles hätte er verloren, seine Beiz, seine Frau, er sei ein Niemand geworden. Ich habe ihm zugehört.

Da sitze ich nun, mir gegenüber noch Max und Moritz, und ich kann Max und Moritz nicht sagen was ich weiss. Es schmerzt mich, wenn ich sehe wie das Übel seinen Lauf nehmen kann, wenn es auf den Boden der Unwissenheit fällt. Denn Sepp ist ein Verdränger, ein Disimulant, einer der vielen welche eine Invalidenrente beziehen müssen um zu überleben, aber nicht zu ihrer Krankheit stehen können oder wollen. Disimulation heisst das Phänomen in Fachkreisen. Sie haben eine grosse Klappe, und einige in der Öffentlichkeit, welche sich das ansehen und anhören müssen, glauben das noch, was da geredet wird. Vielleicht wollen gewisse Zuhörer die Geschichten vom IV-Abzocker auch glauben, weil es Wasser für ihre Mühlen ist. Vielleicht wollte Sepp einfach mal alles vergessen, seine Gesundheit, seine Sorgen, seine Geschichte, und sich mit ein wenig prahlen in eine andere Welt träumen. Sepp wollte immer der Starke sein, der Rechtschaffene, der Leistungsfähige welcher bewundert wird. Krank sein, oder das Kranksein gar zugeben zu müssen, dessen war er nicht fähig. Er hätte sich geschämt.

Übrigens, gestern ist Sepp gestorben, ein Jahr nach seiner Tochter.

Max und Moritz waren nicht an seiner Beerdigung, obwohl auch sie dieselbe Partei wählten wie Sepp.

Samsara nennen es die Buddhisten, das Meer des Leidens. Welch wahre Worte.

Beatus Gubler www.streetwork.ch Basel 03.03.2013


 

Gesamtverzeichnis der Streetwork-Arbeiten https://www.beatusgublerbasel.ch/verzeichnis.html
 

 

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