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Ab wann ist die Kirche Hölle?

1962 war ich in einem katholischen Kinderheim in Ägeri, das war Hölle.
Es müssen nicht immer Männer sein, welche sich an Kindern vergreifen,
gewalttätige Klosterfrauen können ebenso Brutalität walten lassen.
Ich kam damals knapp am Tod vorbei, es fehlte nicht mehr viel.
Als meine unerfahrenen und ständig überforderten Eltern mich nach
dieser Horrorepisode in diesem Heim dort halb tot abholten, habe
ich meinen Schmerz nicht unterdrücken können. Die Antwort meiner
mit Ängsten beladenen Mutter war: Hör auf zu heulen, sonst lassen wir
dich gleich wieder hier. Es war das letzte mal in meinem leben, das ich
meiner Mutter ohne Vorbehalt meinen Schmerz zeigte. Ich war noch
keine 3 Jahre alt.

1982 wollte ich dieses Heim besuchen, es wurde aufgelöst und war
nun ein Altersheim. Als ich vor dem Gebäude stand, vor dem ehemaligen
Kinderheim, kam auch die emotionale Erinnerung mit voller Wucht.
Sie kamen mit der gleichen Wucht wie der Hass meiner damaligen
Peinigerinnen.

Kurze Zeit vor seinem Tod begann der Mann der mein Vater hätte sein sollen,
zu erzählen warum er mir und meinen Bruder immer wieder die Seele aus
dem Leib geprügelt hatte. Als er in erzieherischen Fragen sich hilfesuchend
an den für ihn zuständigen katholischen Priester gewendet hatte, riet dieser
ihm seine Kinder regelmässig zu züchtigen. Dies fiel bei ihm auf fruchtbaren
Boden, denn auch er wurde als Kind immer wieder von seinen Eltern verprügelt.

Vergeben? Ja, immer, aber vergessen? Niemals.

Und ich frage mich ob die Kirche vergessen hat dass es nicht nur um Liebe
und Vergebung, sondern ebenso auch um Gerechtigkeit geht.

 

 

 

Was wäre die Aufgabe der Kirche? Nun, ich denke die Aufgabe wäre das Heil der Menschen. Damit Menschen "Heil", "Ganz" und "Vollständig" sein können, und falls sie es noch nicht sind, so werden können. Dafür müssen die Bedürfnisse der Menschen, die uns allen gleich sind, vollumfänglich anerkannt und für alle Beteiligten gleichermassen erfüllbar werden (Gerechtigkeit). Darüber hat die Kirche, unter Einbezug spiritueller Werte, als schützende Macht zu wachen, zu schauen das alle gut versorgt werden und sicher sind. Und das diejenigen, die noch nicht versorgt und sicher sind, dem zugeführt werden und Trost sowie Mitgefühl erfahren können für das zuvor Erlittene.

Wenn Kirche, wenn Religion, welche auch immer, dies nicht tut, dann hat sie versagt. Wenn sie das Gegenteil dessen tut, was eigentlich ihre Aufgabe wäre, z.B. in Form einer Gewaltanwendung welche nicht den Bedürfnissen und der Sicherheit aller, sondern der Ausbeutung, Bestrafung und Unterdrückung dient, dann ist die Kirche nicht mehr Kirche, dann ist sie Hölle. Denn jenseits von Liebe, Anerkennung, Gemeinschaft, Mitgefühl, Wahrheit, Schutz und Sicherheit beginnt die Hölle. Denn der Mensch lebt nicht vom Brot alleine.

Manchmal frage ich mich, ob das institutionalisieren von Spiritualität und spirituellen Werten überhaupt möglich ist, ohne dass dabei das Böse seinen Fuss in die Türe stellt. Auch die Aussage, das ein Volk, eine Kultur, ein Land, die Kirche, die Religion bekommt welche sie sich verdient, lässt mich nicht unbewegt. So wie die staatlichen Kinderheime, die staatlichen Altersheime, die Gefängnisse Spiegel unserer Kultur und Gesellschaft sind, so sind wohl auch unsere Religionen ein Spiegel unserer Gesellschaft. Schau was in diesen Institutionen geschieht, und Du weisst wie weit das jeweilige Land entwickelt ist, belehrte mich ein Student.

Das Argument, das sehr oft  Täter selber zuvor Opfer waren, selber traumatisiert wurden, ist belegt und wahr. Leider wird die ehemalige Opferrolle dieser Täter oft als Entschuldigung in das Feld geführt. Dies halte ich für falsch, denn im Gegenteil, sie wissen ja wie traumatisch Übergriffe sein können, und sollten es nun besser wissen. Dennoch tun sie es, sie tun anderen an was ihnen angetan wurde. Das ein Täter zuvor selber Opfer war als Entschuldigung ins Feld zu führen, oder um den Opfern in ihrer quälenden Situation noch Verständnis für die Täter abzufordern, ist ein weiterer Akt der Gewalt gegen die Opfer, ist ein weiterer Schlag ins Gesicht der bereits Versehrten.  Ebenso verhält es sich aufgrund eines falsch verstandenen Christentums mit der versteckten Forderung, das Opfer noch weitere Opfer zu erbringen haben, um damit die Täter zu beschämen und auf einen Heilungsweg zu bringen. Eine Art obszöner Druck an die Opfer, um nun vom passiven hilflosen Opfer zum aktiven Opfer, zum Märtyrer zu werden. Die eine Kreuzigung hat wohl nicht gereicht, die Gesellschaft, oder sollte ich sagen "Der Mob?" kreuzigt noch heute, und umso obszöner, das sie es mit den Schwächsten unter ihnen tun.

Ein Mensch welcher seine Bedürfnisse auf Kosten anderer Erfüllt, begeht grundsätzlich ein Vergehen. Die Schwere des Vergehens nimmt zu, wenn dieser Mensch das Gewand, den Titel, den Status einer vorbildlichen, vertrauenswürdigen, kompetenten Autoritätsperson trägt. In gleichem Ausmass nimmt die Schwere der Verletzung, der Enttäuschung, die erlebte Versehrtheit des Urvertrauens beim Opfer zu. Institutionen welche solchen Tätern diese Titel und Gewänder verleihen, sind an solchen Taten immer mitverantwortlich. Das Vertrauen in ein oder das System, in soziale Regeln, in Werturteile, in Moral oder Justiz, in religiöse Regeln, ist abgestorben. Denn Kinder können noch nicht differenzieren. Die schmerzhafte Erkenntnis das jedes System (noch) seine Grenzen hat, paart sich mit der erlebten Einsamkeit des Opfers und bestätigt und stärkt die Lust des oder der Täter. (Du kannst ja nichts machen, dir glaubt sowieso niemand...) Da kommt ein Kind oder ein Jugendlicher, oftmals aus schwierigen Verhältnissen, an einen spirituellen Ort, zu Menschen, zu Männern und Frauen in Gottesgewändern, welche gute Dinge tun und erzählen, und es denkt: Hier bin ich sicher, werde sicher nicht belogen, betrogen oder geschlagen. Und dann geschieht es doch, auch hier gibt es Übergriffe, Verletzungen der Werte und somit der durch diese Werte geschützten Bedürfnisse. Und es kann nicht sagen, wenn du das mit mir tust, sage ich es meinem Vater oder meiner Mutter. Denn hätte es einen Vater oder eine Mutter welche diesem Kind zuhören und es beschützen würden oder könnten, wäre es nicht in diesem Heim oder in dieser Klosterschule.

Bei einigen dauert es Jahre, wenn nicht ein ganzes Leben, bis solche Opfer eine Sprache finden für das erlebte. Und wenn sie eine Sprache gefunden haben, was oft bedingt dass die Betroffenen nochmals durch diese schrecklichen Gefühle hindurch gehen müssen, kommen meistens neue Verletzungen hinzu. Sie werden kritisiert, als unglaubwürdig hingestellt, ihre Erlebnisse werden bagatellisiert, sie werden als Täter und die wahren Täter werden als verführte Opfer hingestellt. Sie gehen alle buchstäblich durch das Tal der Finsternis wie im Psalm 23.

Was können wir tun für die Opfer, damit sie mindestens Genugtuung und bestenfalls Heilungsprozesse erfahren können? Und was können wir für die Täter tun, damit sie in Zukunft für die Erfüllung ihrer Bedürfnisse Strategien anwenden welche anderen nicht Schaden? Und was können wir tun für das System, damit es seine Funktion, nämlich Sicherheit und Schutz durch Werte, besser erfüllen und Garantieren kann?

Das sind die 3 Grundfragen welche sich uns stellen. Das sind die 3 Fragen, welche jetzt wichtig sind. Das sind immer dieselben 3 Fragen, welche Raum in unserem Bewusstsein bekommen sollen, wenn irgendwo auf irgendwelche Art Täter und Opfer generiert werden in unserer Gesellschaft, in unserer Welt.

Scharenweise wandern spirituell Suchende ab von den Kirchen. Sie finden sich wieder beim Buddhismus, in der Esoterik, in der Anthroposophie, in kleinen Freikirchen, in marxistisch orientierten klosterähnlichen Gemeinschaften, in den Nachfolgern der humanistischen Psychologie. Sie suchen nach Worten für das Geschehene, sie finden sie bei Hans Küng, welcher von der katholische Kirche, unter anderem von Hr. Ratzinger, die volle destruktive Macht der Kirche zu spüren bekam, (Hans Küng, Projekt Weltethos), bei Marshall Rosenberg (Gewaltfrei leben durch Kooperation) und z.B. bei Mahatma Gandhi, Anselm Grün, Pfarrer Sieber, Bruder Benno, Jean Ziegler (Buch: Die Schweiz wäscht weisser) oder im Projekt Grundeinkommen, eben bei solchen die auch leben was sie predigen, tun was sie sagen.

Das bisherige System katholische Kirche, so wie wir es bisher kannten, wird sterben. Und das ist gut so. Es ist die logische Konsequenz der Ereignisse. Die Zeichen für eine harmonische Wandlung der katholischen Kirche sind längst vorbeigezogen. Wer eine gute, friedliche Entwicklung mit Gewalt verhindert, braucht sich nicht zu wundern wenn seine Gewalt zu einer Gegengewalt, zu einer Revolution führt. Es wird noch mehr an die Oberfläche kommen, die pädophilen Übergriffe sind wohl nur die Spitze des Eisberges. Es liegt an uns, aus dieser Kirche wieder eine Kirche zu machen. Ob dies überhaupt noch möglich ist?  Ich denke ja, es liegt an uns nicht einfach zu gehen, nicht einfach aufzugeben. Wir können aus dieser Kirche wieder ein Licht machen. Und wenn wir nicht aufgeben, vielleicht sogar einen strahlenden Diamanten. Bauen wir auf an dem was wahr, gut und schön ist. Denn auch das gibt es in dieser Kirche, auch das hat es in dieser Kirche immer gegeben, das dürfen wir nicht vergessen, hier können wir ansetzen.

Meine Hochachtung, meine Wertschätzung, meinen Respekt möchte ich hier all jenen aussprechen, die ihr Schweigen gebrochen haben und mit ihren Erlebnissen an die Öffentlichkeit gegangen sind oder noch gehen werden.

Beizeiten werden wir hier noch weiter arbeiten.

Von Beatus Gubler für www.streetwork.ch Basel. Artikel vom 14.04.2010, letzte Bearbeitung am 18.04.2010

 

 

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